Gerichtsmassiges z.B.

München 2009, Landwehrstraße/Ecke Goethestraße

Die Geschichte von den zwei kleinen Tomaten

Es waren einmal zwei kleine überreife Tomaten. Die lagen traurig und eng aneinander geschmiegt in einer Stapelkiste beim Gemüsehändler an der Ecke Landwehr-/Goethestraße in München.Wir sind zu gar nichts mehr nutze“, sagten sie und weinten bitterlich.Niemand will uns mehr, was sollen wir nur tun? Wir können uns ja nicht einmal bewegen.“ Noch am selben Nachmittag aber nahm sie endlich jemand aus ihrer engen, stickigen Holzkiste heraus und warf sie schnurstracks auf eine Horde Nazis, die da unter Polizeischutz des Weges kam. Das gab ihrem Leben wieder einen Sinn. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

 

Aus dem Magazin Gaudiblatt Nr. 9

Am 14. November 2009 warf Günter Wangerin zwei Tomaten auf Nazis, Ort: Landwehr/Ecke Goethestraße, nachdem das Bayrische Verwaltungsgericht den von der Stadt München verbotenen „Heldengedenkmarsch“ im Eilverfahren erlaubt hatte. Unbestätigten Meldungen zufolge soll Günter W. geäußert haben, die Tomaten seien eigentlich dem 2500 Meter entfernten Verwaltungsgericht zugedacht gewesen. Er hätte aber beim Werfen viel zu weit ausholen müssen, wozu er sich aus Gründen mangelnder Treffsicherheit außerstande sah (s.u.). Er wurde festgenommen und nach zweimaliger körperlicher Durchsuchung ins Polizeipräsidium verbracht. Ermittlungen wurden aufgenommen. Der Vorwurf: Landfriedensbruch und versuchte vorsätzliche Körperverletzung. Der Landfriedensbruch wurde später fallengelassen. Das Gericht zeigte sich bereit, das Verfahren gegen eine großzügige Geldbuße an den Kinderschutzbund (900 €) einzustellen, wogegen der Tomatenwerfer Widerspruch einlegte. Schließlich habe er seine Tomaten ja nicht auf Kinder geworfen.  Zur Belohnung erhielt er daraufhin einen Strafbefehl über 1800 Euro zugeschickt. Auch diese 1800 € wollte er nicht bezahlen. Beim Prozess vor dem Antsgericht wurde das Verfahren eingestellt, die Kosten der Staatskasse, also auch den Lesern des Gaudiblatt, auferlegt.

 

München 2012, Wittelsbacherplatz - Wie sehen uns die Anderen? Wer das hier (s.u.) zeigt, wird bestraft

November 2012: Günter Wangerin erhält wegen eines von ihm hochgehaltenen Plakats aus Griechenland, das er mit der Aufschrift "Athen 2012" versehen hat (s.u.), einen Strafbefehl über  5000 €. Begründung: Zeigen eines Nazisymbols. Im darauffolgenden Prozess erfolgt eine Verurteilung zu 3000 € Geldstrafe durch das Amtsgericht München. Das Landgericht bestätigt die Verurteilung W.s.  Wangerin geht bis vor das Bundesverfassungsgericht. Das BVG weist W.s. Widerspruch ohne Begründung zurück. Ende.



 Was war der Grund für A.s Aktion

 

Einlassung des Angeklagten vor Gericht (Auszug)

 

"...Ich streite nicht ab, dass ich am 14. November vergangenen Jahres auf einer Solidaritätskundgebung für die vom Spardiktat betroffenen Länder Griechenland und Spanien ein Plakat getragen habe, auf dem Kanzlerin Merkel mit einer Hakenkreuzbinde zu sehen war. Auf dem Plakat war in großen schwarzen Lettern deutlich zu lesen: ATHEN 2012.

 Es handelte sich um eine Kunstaktion, an der außer mir die Schauspielerin Barbara Tedeski beteiligt war. Sie trug ein Plakat aus einem polnischen Magazin, auf dem Kanzlerin Merkel mit Hitlerbärtchen abgebildet war. Barbara Tedeski stand dicht neben mir.

Für den – selbst flüchtigen - Beobachter nicht als Nazigegner erkennbar?!

 Das Plakat, das ich hochhielt – eine Montage -, wurde in Griechenland auf verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen getragen. Es war kürzlich auch in meiner Ausstellung im Münchner Gewerkschaftshaus auf einem meiner Bilder zu sehen. Dieses zeigt einen griechischen Rentner, der in der rechten das bewusste Plakat, in der linken ein Schild hält, auf dem zu lesen steht 201 € Rente. Es handelt sich um einen Mann, der während der Zeit der deutschen Okkupation Griechenlands geboren wurde. Als Grundlage für das von mir gemalte Bild diente eine Fotografie aus Athen.

 Zum „Straftatbestand“

 Der Strafbefehl – er lautet auf 5000€ - entbehrt meiner Auffassung nach jeder Grundlage, er ist in meinen Augen ein Hohn auf das Rechtsempfinden eines jeden Demokraten. Nicht nur das: die Höhe der Geldstrafe legt mir den Verdacht nahe, dass es über den vermeintlichen Straftatbestand des § 86a hinaus – unausgesprochen wohl auch um Majestätsbeleidigung geht, einem Straftatbestand aus der wilhelminischen Zeit.

 Nebenbei: Die Akten umfassen 39 (!!) Seiten.

 In der Begründung des Strafbefehls steht der kategorische Satz (ich zitiere): „Jedes irgendwie geartete Gebrauchmachen eines derartigen Symbols (des Hakenkreuzes nämlich) , ohne dass es auf eine damit verbundene nationalsozialistische Absicht des Benutzers ankommt, ist - wie Ihnen bewusst war - in der Öffentlichkeit verboten, um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden.“

 Zu dieser Begründung zwei Anmerkungen: Die eine betrifft das, was mir tatsächlich bewusst war, die andere den Nebensatz am Ende, den ich für bedeutsam halte:

 

1. Bewusst war mir – anders als Frau Richterin Rothe, die den Strafbefehl formuliert hat - dass der § 86 a keine Anwendung findet, wenn

a) aus den Umständen der Verwendung des Hakenkreuzsymbols eine deutliche Gegnerschaft zu diesem hervorgeht, wenn es etwa darum geht, auf eine neuerliche faschistische Gefahr hinzuweisen, z.B. im Zusammenhang mit dem NSU und dergleichen

oder wenn es

b) z.B. darum geht, historische Zusammenhänge klarzumachen mit dem Ziel der Verhinderung von Zuständen ähnlich denen, wie sie unter dem Hakenkreuz geherrscht haben.

 Das heißt: es ist eben nicht so, dass jedwedes irgendwie geartete Gebrauchmachen des Hakenkreuzsymbols usw. ohne wenn und aber verboten ist.

 Wenn dem so wäre, dürften z.B. die Presseorgane dieses Symbol ja überhaupt nicht abdrucken. Das ist in den letzten Monaten doch Hundertemale geschehen, ohne dass es deswegen zu Strafverfahren gekommen wäre. Zu Recht nicht! Die genaue juristische Begründung mit Kommentaren etc. erspare ich mir. In diesen Details weiß meine Anwältin natürlich besser Bescheid.

 Ein paar Worte dazu, weshalb ich gerade das Plakat aus Griechenland getragen habe.

Einer meiner Freunde heißt Argyris Sfountouris. Er ist heute 73 Jahre alt –

 etwa so alt wie der Rentner auf dem Bild hier, der das Merkelplakat hochhält.

 Argyris stammt aus Distomo in Griechenland. Über ihn gibt es einen preisgekrönten Film, der hier in München auf dem Filmfestival gezeigt wurde. Der eine oder andere in diesem Saal kennt diesen Film vielleicht. Der Titel lautet: Ein Lied für Argyris.

 Argyris war im Juni 1944 knapp vier Jahre alt und überlebte durch Zufall das Massaker, das Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadierdivision an diesem Tag in Distomo, einem Dorf unweit von Delphi, bei einer sogenannten Vergeltungsaktion unter der Zivilbevölkerung angerichtet haben. Dort wurden damals 218 völlig unbeteiligte Dorfbewohner ermordet. Kinder, Frauen, Alte. Argyris verlor seine Eltern und insgesamt dreissig Familienangehörige. Obwohl der Aeropag, das höchste griechische Gericht, im Mai 2000 die Bundesrepublik Deutschland rechtskräftig verpflichtete, eine Summe von 28 Mio. Euro Entschädigung an die Opfer zu zahlen, hat Argyris, wie die anderen Überlebenden und Angehörigen bis zum heutigen Tag mit dem Verweis auf die sogenannte Staatenimmunität keinen Cent gesehen.

Was hat das nun mit Frau Merkel zu tun?

Das Spardiktat der Bundesregierung, die Art des Umgangs mit der griechischen Bevölkerung steht bei sehr vielen Griechen in der Tradition von Distomo. Das wissen leider viel zu wenige Deutsche.

Aus diesem Grund habe ich das Plakat mit der Montage, das in Griechenland gefertigt wurde, getragen.

Die Frage, ob ich Kanzlerin Merkel mit Hitler gleichsetzen wollte, ist hier zwar nicht Gegenstand der Verhandlung, ich will aber trotzdem etwas dazu sagen, weil es Menschen gibt, die das herauslesen.

Selbstverständlich setze ich Merkel nicht mit Hitler gleich! Das Plakat stammt nicht von mir, es kommt aus Griechenland. Es war deutlich als solches gekennzeichnet. Wenn das Gespräch über ein Missverständnis Anlass gibt, darüber zu sprechen, welche Rolle Deutschland in der Vergangenheit gegenüber Griechenland spielte und in welcher Beziehung diese Geschichte zu heute steht, dann ist es mir ein Missverständnis wert!

Meine Absicht war es, zu zeigen: So sehen uns die Griechen heute und es hat Gründe! Wir – die Deutschen – sind dafür mit verantwortlich, dass sie uns so sehen, weil wir es zulassen, dass Leute wie Merkel heute über Europa bestimmen, darüber, wie es den griechischen Rentnern heute geht, denen, die als Kinder die Deutsche Okkupation Griechenlands miterleben mussten,

 

2. jetzt zu dem Nebensatz, einem verräterischen Nebensatz, in der Begründung des Strafbefehls, das Zeigen des Hakenkreuzes sei „in der Öffentlichkeit verboten, um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden.“ Das ist in dem Strafbefehl die einzige Begründung für die Anwendung des § 86a der Strafprozessordnung. Interessant.

Ich muss gestehen: ich habe erst mal darüber weggelesen. Dieser Satz heißt im Klartext: Eigentlich geht es gar nicht darum, solche Bestrebungen zu unterbinden – nein - es geht darum, nach außen hin nur den Anschein zu vermeiden, es könnte solche Bestrebungen vielleicht geben .

Wenn man sich rückblickend z.B. die Praxis des Verfassungsschutzes – vor allem hier in Bayern - genauer betrachtet, wenn man sich anschaut, wie in den letzten zehn Jahren Nazibanden völlig unbehelligt 10 Menschen ermorden konnten und Polizei und Staatsanwalt die Mörder unter den Angehörigen und deren Bekannten selbst suchten, bekommen solche Formulierungen in einem Strafbefehl wie meinem einen äußerst zynischen Unterton.

Wer wird hier eigentlich verfolgt???

Die Antwort liegt auf der Hand.

Interessant ist auch folgendes: Nicht selten geht es nicht einmal darum, solchen Anschein zu vermeiden. Wie anders sind beispielsweise Vorfälle wie in Freiberg/Sachsen zu verstehen?

Dort durften mehrere Männer in Naziuniform (u.a. der Uniform der Waffen-SS) auf einem Volksfest im Nazikübelwagen durch die Straßen fahren. Die Polizei sah dem Treiben tatenlos zu, ein Ermittlungsverfahren (angestrengt von einem Abgeordneten der Linken, wohlgemerkt: nicht von der Staatsanwaltschaft!) wurde eingestellt mit der Begründung, es habe sich um Aufklärung über geschichtliche Zusammenhänge gehandelt.

Ausgerechnet, wenn Nazis die Nazi-Symbole gebrauchen, holt man die Einschränkung des § 86 a, die mir z.B. versagt wird, aus der Tasche. Für Demokraten heißt es: jedwedes Gebrauchmachen solcher Symbole ist verboten... usw. usw.

 Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Nazis genau das Recht für sich in Anspruch nehmen dürfen, das Demokraten versagt bleibt.

Mildernde Umstände für mich? Nein!

 In diesem Verfahren darf es keine mildernden Umstände geben, weil es keine Schuld gibt.

 


Aus einem Artikel des TAGESSPIEGEL (Berlin) vom 8-1- 2014:

"Der Künstler Günter Wangerin (68) ist wegen eines Plakats, das Bundeskanzlerin Angela Merkel in Nazi-Uniform mit Hakenkreuz-Armbinde zeigt, erneut verurteilt worden. Wangerin hatte mit dem Plakat an einer Demonstration gegen die Sparauflagen für die EU-Krisenländer teilgenommen. Das Landgericht München bestätigte am Mittwoch im Berufungsprozess seine Verurteilung zu 3.000 Euro Geldstrafe wegen Verwendung von Nazi-Symbolen. In diesem konkreten Fall könne er sich nicht auf die Kunstfreiheit berufen, erklärte die Strafkammer.

Linkspartei, DKP, Attac und die Gewerkschaft Verdi hatten am 14. November 2012 in München gegen die Folgen der Euro-Krise für die südeuropäischen Schuldenländer demonstriert. Unter den Teilnehmern war auch Wangerin mit dem Plakat. „Das sollte heißen: Schaut her, so sehen uns die Anderen“, sagte der Angeklagte vor dem Landgericht.

Seine Aktion sollte einen Zusammenhang herstellen mit den Verbrechen des Nazi-Regimes im besetzten Griechenland. Er zitierte den griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, wonach Merkel seinen Landsleuten „neue Gauleiter“ aufzwinge."


München/Nymphenburger Schloss 2015

Kunstaktion in der Maske des Bundespräsidenten beim Offiziersappell vor dem Nymphenbur-

ger Schloss, in den Augen von Bundeswehr und Staatsanwaltschaft ein Fall von Hausfrie-

densbruch (27. Juni 2015), zu ahnden mit einem Strafbefehl über 40 Tagessätze á 60 € (2400 €)

 

2 mal ertönte der Ruf "Habt Acht"...                                                         G. Wangerin (privat)

...dann kamen zwei Herren von der Bundeswehr und führten G. Wangerin "kontrolliert" unter strikter Beachtung der

Verhältnismäßigkeit und unter Anwendung des sog. "Nasenhebels" (laut Zeugenaussage eines der beiden Feldjäger)

zu Boden.    Foto G. Wangerin (privat)

    Am 24. Dezember 2016 kommt Post vom Christkind

Die Bundeswehr kämpft für den Erhalt der Meinungsfreiheit (Werbeplakat)

 

 

Der Prozess am 23. Februar 2016 um 13. Uhr 15, Saal A123 im Gerichtsgebäude an der Nymphenburgerstraße in München

 

Der Angeklagte steht wegen Hausfriedensbruchs  bei der Bundeswehr am 27. Juni 2015 vor Gericht

 

Einlassung des Angeklagten

 

Hohes Gericht, da Sie gehalten sind, sich ein Bild von mir als dem Angeklagten zu machen, ein paar

Worte zu meiner Person. Ich bin 70 Jahre alt, seit 6 Jahren im Ruhestand. Bis 1986 war ich als

Krankenhausarzt tätig, danach habe ich bis zum Eintritt ins Rentenalter als Lektor bei einem

wissenschaftlichen Verlag gearbeitet.Seit vielen Jahren – auch während meiner Zeit als Arzt und

später als Lektor – war ich künstlerisch tätig als Maler, Grafiker und Maskenbildner. Ich bin es bis

heute.  Jetzt im Rentenalter, widme ich mich dieser Tätigkeit mit mehr Muße, wie sie auch an der

Aktion mit der Maske vor dem Nymphenburger Schloss sehen können. Für mich ist Kunst, auch

Aktionskunst wie die Performance, zur Lebensaufgabe geworden. Da ich - wenn Sie so wollen –

ein politischer Künstler bin, setze ich mich mit der Realität auseinander, in der ich, in der wir leben.

Zu dieser Realität zählt für mich als Künstler nicht nur die Landschaft, in der ich meine Zeit

verbringe, sondern auch und vor allem die Art und Weise des Umgangs mit den Menschen durch die

Entscheidungsträger in der Politik oder auf der Straße, egal, ob diese Menschen hier leben oder auf

der Flucht aus Armut oder Krieg zu uns kommen. Bei meiner Malerei, meinen Skulpturen, Karikaturen

und Masken geht es also um Krieg und Frieden, um Recht und Unrecht, um Humanität und Barbarei,

um Flüchtlinge und Fluchtursachen. Z. B. auch um brennende Asylbewerberheime.

Warum erzähle ich Ihnen das? Ich tue es, weil ich selbst in dieser meiner Tätigkeit, die etwas mit

dem Eintreten für eine menschliche Gesellschaft zu tun hat, seit Jahren durch Polizei und Justiz

behindert werde. Neuerdings gesellt sich zu dieser unheiligen Allianz das Militär.

 

Ich stehe heute wieder einmal vor einem Gericht in diesem Haus. Ich sage wieder einmal, weil

das in den letzten Jahren öfter der Fall war. Allen Verfahren ist eines gemein: es handelt sich

darum, dass ich das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 GG, in den letzten Jahren das

Recht der Freiheit der Kunst (Artikel 5 Absatz 3 GG) in Anspruch genommen habe.

Ich stelle fest, dass die Wahrnehmung dieses Rechts wohl dann zum Problem wird, wenn es

nicht um die Verherrlichung der Zustände in diesem Land geht, sondern um die Kritik an diesen.

Immer ging und geht es auch heute um die Teilnahme an Antikriegsaktionen, um Aktionen

gegen alte und neue Nazis oder um die Verteidigung elementarer Rechte, z.B. des Asylrechts.

Darum, dass alle Menschen gleich sind und selbstverständlich auch die gleichen Rechte haben

müssen.

Ich habe niemendem etwas getan, n­iemandem Schmerzen zugefügt, niemanden übervorteilt,

betrogen oder was auch immer.

 Ich komme zum Vorwurf des Hausfriedensbruchs.

Hausfriedensbruch?

Was geschah am 27. Juni 2015? Das zu schildern, ist schnell geschehen. Die Universität

der Bundeswehr lud in den Zeitungen die Münchnerinnen und Münchner zu einer öffentlichen

Ernennung junger Soldaten zu Offizieren vor dem Nymphenburger Schloss ein, also auch mich.

Das Ganze sollte mit militärischem Gepränge vor sich gehen, die Einladung wurde aber

kurz vor dem Ereignis widerrufen, nachdem das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassimus

eine Protestaktion gegen die Feierlichkeiten angekündigt hatte. Ich hatte die kurzfristige

Absage nicht mitbekommen und mich ungehindert mit einem kleinen Potest und einer

Plastiktüte, in der sich eine Gauckmaske und ein großes Eisernes Kreuz befanden, an dem

Platz eingefunden, an dem die Eltern der Jungoffiziere standen. Ich plante eine Kunstaktion.

Warum Gauckmaske? Weil Pastor Gauck der entschiedenste Befürworter von Bundeswehr-

einsätzen in aller Welt ist und keine Gelegenheit verstreichen lässt, für solche Einsätze

zu werben. Die Auffassung, dass diese Einsätze verfassungswidrig sind, entstammt

nicht meiner krankhaften Phantasie, sondern wird auch von bedeutenden Verfassungs-

rechtlern geteilt

 Was passierte also konkret?

 Als die über 400 jungen Soldaten angetreten waren und „Des großen Kurfürsten Reiter-

marsch“ - vorgetragen durch eine Bundeswehrkapelle mit Tambourmajor - verklungen war,

trat Stille ein.In diesem Moment stieg ich schnell auf mein kleines Podest, stülpte mir

die Gauck-Maske und das Eiserne Kreuz über, salutierte und rief zweimal deutlich „Habt

Acht“. Mein Ruf war noch nicht verhallt, da rissen mich zwei Arme, einer links, einer

rechts, von meinem Podest. Das Ganze geschah ohne Vorwarnung. Ich bin sofort zu

Boden gestürzt. Man nahm mich in eine Art Nackengriff - wer von den beiden das war,

konnte ich nicht sehen - weil mir einer die Augen zugehalten hatte, man drehte mir

dabei den Kopf hin und her, wobei meine Brille zu Bruch ging, griff mir dabei in die Nase

(es war wohl der „kontrollierte Nasenhebel“, von dem der eine Feldjäger spricht)

und legte mir, der ich wehrlos am Boden lag und mich in diesem Griff nicht bewegen

konnte, Handschellen an. Auch dieses Manöver ohne ein Wort.

Ich wehrte mich nicht, weil ich wusste, welche juristischen Folgen das haben

würde, protestierte aber laut und deutlich gegen dieses Vorgehen. Dazwischen

forderte ich die beiden auf, mir die Handschellen abzunehmen, sie sähen doch,

dass ich mich nicht wehrte. Ohne Erfolg. Sie schienen stumm. Sie zerrten mich

dann hoch und rissen mich im Laufschritt mit sich fort zur Polizei. Irgendwo

auf dem Rasen nahmen sie mir dann die Handschellen ab.

Soweit, so schlecht.

 

Als ich die Zeugenaussagen der beiden las, war ich sprachlos.

Angeblich hätten sie mich davon zu überzeugen versucht, mein unentwegtes

Rufen aufzugeben. Angeblich hätten sie angedroht, unmittelbare Gewalt

anzuwenden etc. etc.

 

Nichts davon stimmt.

 

Ich habe eine Frage an Sie, Herr Staatsanwalt: Sie haben die Zeugenaussagen

der beiden doch gelesen. Kam es ihnen nicht komisch vor, dass ich gerufen

haben soll: „Für die Abschaffung der Bundeswehr“?

Kam es Ihnen denn nicht seltsam vor, dass ausgerechnet ein Darsteller mit

Gauckmaske und Eisernem Kreuz gerufen haben soll „Für die Abschaffung der

Bundeswehr“?

Bedenken Sie: meine Aktion war eine satirische. Als Gauck stand ich doch

für die Bundeswehr da und nicht gegen sie! Ich rief „Habt Acht!“, eine Aufforderung

also, wachsam zu sein.

Noch etwas, Herr Staatsanwalt. Nehmen Sie die Beschreibung des Vorgangs,

dass ich angeblich „kontrolliert“ zu Boden gebracht worden sein soll, den

beiden tatsächlich ab? Ich soll also weiterhin versucht haben, meine Aktion

fortzuführen?

Die Aktion war mit Herunterreißen der Maske und Eisernem Kreuz doch erledigt.

Ich, ein Mensch mit siebzig, lag in eisernem Griff bewegungslos am Boden.

Es schmerzte mir alles, vor allem Hals und die Hüfte. Dass ich lautstark

protestierte, habe ich ja schon gesagt. Das war ja das einzige, was ich konnte.

Dass die Gewaltanwendung „zu ihrem und und auch meinem Schutz“ (sic!) notwendig

war, glauben Sie das den beiden? Zu meinem Schutz? Habe ich sowas nicht

schon in anderem Zusammenhang gehört? Es gibt ja auch den Begriff „S c h u t z h a f t“.

 

Ich frage Sie, Herr Staatsanwalt: was geschieht eigentlich, wenn ein Feldjäger

als Zeuge Falschaussagen macht? Halten Sie es für ausgeschlossen, dass ein

Feldjäger Falschaussagen macht? Wie Sie vielleicht wissen, sind die Bilder

in den Zeitungen – sie waren ja in allen Münchner Tageszeitungen - von vielen

Menschen mit Empörung aufgenommen worden. Auch von Leuten, die sich selbst

als eher konservativ verstehen.

 

Es war ein Einsatz ohne jede Verhältnismäßigkeit, ganz egal, woran man sich

juristisch orientiert. Ich bin froh, dass er für mich glimpflich ausgegangen

ist. Es hätte anders kommen können. Meine Aktion war eine friedliche. Ich

habe niemanden verletzt, mein zweimaliger Ruf hat keinem Trommelfell

geschadet. Mit ein wenig Humor hätte der eine oder andere darüber lachen

können. Diesen kleinen Auftritt hätte eine demokratische Versammlung

erdulden müssen.

 

Das hat die Bundeswehr nicht. Warum? Weil sie - in meinen Augen wenig-

stens - kein friedlicher Verein ist. Das Vorgehen der Herren Hempel und Träger

läßt Böses ahnen, was sie tun, wenn sie mit der Waffe hinaus in die Welt

ziehen, um dort angeblich für Frieden zu sorgen. Es lässt auch ahnen, welchen

Charakter Aktionen der Bundeswehr haben könnten, wenn sie denn – wie von

Herrn Schäuble lautstark gefordert - ganz offiziell im Inneren eingesetzt wird.

 

Wie sind solche Vorfälle möglich? Wie ist es möglich, dass es zu Prozessen

wie dem meinen heute kommt?

 

Es hat etwas mit der demokratischen Kultur in diesem Land zu tun. Mit der

gesellschaftlichen Stellung, die Widerstand, wenn er von links kommt,

in diesem Land hat. Damit, wie derlei Kritik gegen bestehende Verhältnisse

auf Behördenebene, regierungsamtlich usw. , aber auch an vielen Stamm-

tischen gehandelt wird. Man mag sie nicht. Und es hat eine langjährige

unselige Tradition.

- Wir leben in einem Land, in dem kein Richter, der in der Nazibarbarei „Recht“

gesprochen hatte, für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde.

Sie alle sprachen – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – nach

45 übergangslos bis zum Eintritt ins Rentenalter Recht. Das geschah mit

Selbstverständlichkeit

- In einem Land, in dem Widerstandskämpfer gegen das Naziregime über

viele Jahrzehnte als Verräter galten. Nicht nur an Stammtischen. Noch

heute wird in Bayern die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN,

in der überlebende Gegner des Naziregimes ganz unterschiedlicher politischer

Couleur vereint sind, im Bericht des Verfassungsschutzes aufgeführt. Auch

das mit Selbstverständlichkeit.

- In einem Land, das einen Politiker hochkommen ließ – und er ist noch

heute hoch geehrt – der unter dem Beifall sehr vieler Würdenträger den

Satz geprägt hatte: „Ein Land, das solche wirtschaftlichen Erfolge zu

verzeichnen hat wie Deutschland, hat ein Recht darauf, von Auschwitz

nichts mehr hören zu wollen“. Das prägt und wird bis heute weitergetragen

in alle Winkel dieser Republik. In Amtsstuben, in Schulen, ins Militär.

 

In einem solchen Land hat Widerstand und Kritik an Bestehendem

- leider auch vor Gericht - einen anderen Stand als dort, wo antifa-

schistische und antimilitaristische Positionen, human orientiertes Denken

wie Alexander Mitscherlich es genannt hat, eine Selbstverständlichkeit sind.

Aber wo ist dieses Land? Wo? Nicht hier.

 

In einem solchen Land würde ich jedenfalls sehr viel lieber leben, als in einem,

in dem Prozesse wie der meine geführt werden, die – beabsichtigt oder

nicht – am Ende nur eines bewirken: dass vor allem junge Leute sagen:

Von Protest und Kritik lasse ich lieber die Finger.

 

Danke.

 

 

 

Wichtige Mitteilung vom 19. März 2016:

Das  Amtsgericht München hat den  Prozess

bei Erstattung aller Kosten (einschließlich

Anwaltskosten) eingestellt.

Eine Anzeige gegen die Feldjäger steht weiterhin

aus.

 

BRIEF AN DIE UNTERSTÜTZERINNEN UND UNTERSTÜTZER

22. März 2016

 

Liebe Freundinnen und Freunde

 

Am vergangenen Samstag bekam ich ein Schreiben des Amtsgerichts München. Es enthielt die Mitteilung, dass das Verfahren gegen mich eingestellt ist. Die Kosten – einschließlich Anwalt – trägt die Staatskasse. Dieser Beschluss, davon bin ich fest überzeugt, ist (neben der schlechten Presse für die Bundeswehr) nicht zuletzt dadurch erfolgt, dass so viele von Euch beim Prozess waren.

Solidarität war sichtbar. Sie ist auch für ein Gericht in diesen Zeiten nicht ohne Bedeutung. Urteile werden nicht im luftleeren Raum gesprochen. Dank also noch einmal an Euch alle!

Die Einstellung des Verfahrens – sie erfolgte in Absprache mit der Staatsanwaltschaft – ist erst mal ein Erfolg, wenn man davon absieht, dass Steuergelder anderswo besser angelegt sind als in Prozessen gegen Kriegsgegner. Natürlich kann man sagen, sie ist eine Selbstverständlichkeit.

Ist sie das? Heute sind solche Entscheide leider keine Selbstverständlichkeit mehr, wenn Ihr Euch umschaut. Es werden Urteile gegen Antimilitaristen und Antifaschisten gesprochen, über die man nur den Kopf schütteln kann.

Was bleibt?

Noch steht die Anzeige gegen die Feldjäger wegen Körperverletzung im Raum, die von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wurde. Die nächsten Monate werden zeigen, wie es damit weitergeht.
 

Mit solidarischen Grüßen

Günter Wangerin

 

... und so ging die Geschichte weiter

Nach der Einstellung des Verfahrens erfolgte gegen die beiden Feldjäger Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung. RA Hartmut Wächtler legte der Generalstaatsanwaltschaft Fotos mit genauen Zeitangaben vor, die den Berweis erbrachten, dass die Feldjäger widerrechtlich gehandelt hatten.

Die Anzeige wurde mit dem folgenden Schreiben (Auszug) zurückgewiesen:

 

Basta!